Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1947, Seite 138

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Seite 138 (NJ SBZ Dtl. 1947, S. 138); (leite aus politischen Gründen, selbst wenn dabei für ihn nur rein persönliche Motive maßgebend gewesen sein mögen. Niemand kann sich zur Begründung dafür, daß ihm das Bewußtsein der Kechtswidrigkeit gefehlt habe, auf eine Einstellung berufen, die im Gegensatz zum allgemein anerkannten Sittengesetz steht. KG, Urteil v. 17. 5. 47 1 Ss 54/47. Das Gesetz Nr. 10 des Kontrollrats, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe stellt, enthält Tatbestände, die nach dem bisherigen deutschen Strafrecht nicht mit Strafe bedroht waren. Es handelt sich nicht nur um eine Zusammenfassung schon früher bestehender strafrechtlicher Tatbestände oder nur darum, daß strafbare Handlungen, die schon früher unter Strafe gestellt waren, wegen der besonderen Art ihrer Begehung zum Gegenstand eines besonderen Tatbestandes gemacht sind, sondern es werden in dem Gesetz auch neue Tatbestände aufgestellt, insbesondere derjenige der Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen. Dieser Tatbestand ist allerdings sehr weit gefaßt und wird von der Rechtsprechung von Fall zu Fall ausgefüllt werden müssen. Da die Verfolgung aus politischen Gründen nach dem Gesetz Nr. 10 auch dann strafbar ist, wenn sie nicht unter ein deutsches Strafgesetz fällt und vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 10 begangen ist, erhebt sich die Frage, ob diese Rückwirkung des Strafgesetzes mit dem allgemeinen, auch für das deutsche Strafrecht jetzt und gerade durch die Besatzungsmächte wieder hergestellten Grundsatz in Widerspruch steht, daß eine Handlung nur mit Strafe belegt werden darf, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. Das Schwurgericht hat sich mit dieser Frage nicht näher befaßt. Es hat sich mit der Ausführung begnügt, daß es sich hier um ein Gesetz des Kontrollrats handelt, und die Gesetze des Kontrollrats zu befolgen sind. Das ist allerdings selbstvertändlich, und der Richter, der dieses Gesetz anzuwenden hat, könnte sich auf den Standpunkt stellen, die Frage seiner Anwendbarkeit sei damit erledigt. Nun ist aber gerade neuerdings die Ansicht vertreten worden, daß die rückwirkende Anwendung dieses Gesetzes mit dem Grundsatz der Nichtrückwirkung von Strafgesetzen in Widerspruch stehen würde, und ausgeführt worden, daß deutsche Richter bei Anwendung dieses Gesetzes in einen Gewissenskonflikt kommen und sich deshalb gedrungen fühlen könnten, die Anwendung abzulehnen (vgl. von Hodenberg, Süddeutsche Juristen-Zeitung 1947 S. 114 ff.). Der Senat ist demgegenüber der Auffassung, daß der Grundsatz der Nichtrückwirkung von Strafgesetzen, der Grundsatz „nullum crimen sine lege“, durch das Gesetz Nr. 10 nicht verletzt wird. Das Gesetz knüpft an das Statut für den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg an. Es unterscheidet sich, soweit es sich um die Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen handelt, von den Bestimmungen des Statuts dadurch, daß nach diesem Statut Voraussetzung für ein Einschreiten die Verbindung der Verfolgung mit einem Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen den Frieden im Sinne des Statuts ist, während nach dem Gesetz Nr. 10 eine solche Verbindung nicht erforderlich ist. In Nürnberg handelte und handelt es sich darum, die großen Kriegsverbrecher zur Verantwortung, zu ziehen. Nach dem Gesetz Nr. 10 sollen nun auch Verbrecher zur Verantwortung gezogen werden, die im Vergleich zu jenen vielleicht als kleine oder kleinere Verbrecher bezeichnet werden können, deren Taten aber, mögen sie auch nicht in Massen, sondern nur als Einzeltat begangen sein, nicht weniger verbrecherisch sind. Der Grundsatz der Nichtrückwirkung von Strafgesetzen soll den Bürger davor schützen, daß er vom Staat willkürlich strafrechtlich verantwortlich gemacht wird für Handlungen, die bei Begehung der Tat noch nicht als strafwürdig betrachtet und von dem Täter nicht als strafwürdig erkannt wurden. Dieser Grundsatz ist nicht nur ein solcher des Strafrechts, sondern auch zu einem Grundsatz des Verfassungsrechts geworden, z. B. in die Grundrechte der Weimarer Verfassung aufgenommen worden. Er gehört zu den Menschenrechten im weiteren Sinne oder ist, wie das Nürnberger Urteil sich ausdrückt, ganz allgemein ein Grundsatz der Gerechtigkeit (vgl. Das Urteil von Nürnberg, Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München 1946, S. 59). Er soll der Rechtssicherheit dienen. liier aber sollen diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die unter dem Schutz und zum Nutzen eines Staates, der jede Rechtssicherheit aufgehoben hatte, die Menschenrechte mit Füßen getreten und sich bewußt zu Handlangern eines verbrecherischen Systems gemacht haben. Dadurch, daß sie zur Verantwortung gezogen werden, wird nicht die Rechtssicherheit gefährdet, sondern soll die Rechtssicherheit und das erschütterte Rechtsbewußtsein wieder hergestellt werden. Der Sinn des Satzes „nullum crimen sine lege“ würde völlig verkannt, wenn diejenigen, die sich durch unmenschliche Handlungen zu Helfern eines unmenschlichen Regimes gemacht haben, sich jetzt, wo sie nach dem Sturz dieses Regimes zur Verantwortung gezogen werden sollen, darauf sollten berufen können, daß es gegen die Menschenrechte verstoße, sie zur Verantwortung zu ziehen. Der Senat hat daher keine Bedenken dagegen, daß während des Naziregimes begangene Verfolgungen aus politischen Gründen auf Grund des Gesetzes Nr. 10 bestraft werden, auch wenn sie zur Zeit ihrer Begehung noch nicht mit Strafe bedroht waren. Die Verfolgung aus politischen Gründen wird von der breiteren Öffentlichkeit und zum Teil auch von den Juristen überwiegend unter dem Gesichtspunkt der Denunziation gesehen. Anhängig gewordene Strafsachen werden oft geradezu als solche „wegen politischer Denunziation“ bezeichnet. Das Wort „Verfolgung“ ist aber keine Übersetzung des Wortes „Denunziation“. Der Begriff der Verfolgung geht über denjenigen der Denunziation hinaus. Damit erledigt sich der Einwand, daß eine Denunziation vielleicht nur vorliegen könnte, wenn eine Behörde angerufen worden ist. Eine Verfolgung kann auch vorliegen, wenn der Verfolger sich nicht an eine Behörde, sondern an einen beliebigen Dritten oder an die Öffentlichkeit wendet, sich aber bewußt ist, daß durch seine Handlung der Weg zu irgendeinem Verfahren oder zu irgendeinem Einschreiten, zu irgendeiner Schädigung des Verfolgten eröffnet wird. Dagegen gehört der Erfolg der Verfolgung nicht zum Tatbestand. Die Straftat der Verfolgung richtet sich nicht gegen das Leben oder die Freiheit eines anderen, sondern gegen das Recht der freien politischen Überzeugung oder Religionsausübung oder gegen die Gleichberechtigung der Rassen. Der Erfolg der Tat ist nur im Rahmen der Strafzumessung von Bedeutung. Die Verfolgung muß aber, um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Gesetzes darzustellen, unmenschlich sein. Die unmenschliche Handlungsweise des Täters macht seine Tat erst zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Handlung der Angeklagten stellt sich nach den Feststellungen des Schwurgerichts objektiv als eine unmenschliche Verfolgung dar. (Wird näher ausgeführt. D. Red.) Dagegen hat das Schwurgericht nicht genügend geprüft, ob die Angeklagte subjektiv unmenschlich gehandelt hat, und überhaupt die Frage, aus welchen Gründen sie gehandelt hat, rechtsirrig behandelt. Es nimmt an, daß der Beweggrund der Tat ein auf hysterischer Grundlage beruhendes Geltungsbedürfnis und eine gewisse Rechthaberei gewesen sei. Ob die Angeklagte aus politischen Gründen verraten habe, läßt es dahingestellt und führt aus, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei jede Handlungsweise, welche vom Standpunkte der modernen Zivilisation aus mit der sittlichen Anschauung billig und gerecht denkender Menschen unvereinbar ist, und von ihnen als verwerflich verurteilt wird. Diese Auffassung ist unhaltbar. Das Gesetz Nr. 10 bedroht nur die Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, nicht auch diejenige aus irgendwelchen anderen Gründen mit Strafe. Das folgt schon aus dem Wortlaut des Gesetzes. Wenn eine weitere Ausdehnung beabsichtigt gewesen wäre, hätte es nahe gelegen nicht zu sagen: Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, sondern: aus politischen, rassischen, religiösen oder irgendwelchen anderen Gründen. Daß das Gesetz in Art. II 1. Ziff. c unmittelbar vorher „andere unmenschliche Handlungen“ erwähnt, kann nicht als Generalklausel auf den Tatbestand der Verfolgung ausgedehnt werden. Denn bei der ersten Gruppe von Tatbeständen der Ziff. c handelt es sich um an der Zivilbevölkerung begangene unmenschliche Handlungen, um politische Aktionen gegen ganze Be- 138;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 1. Jahrgang 1947, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1947. Die Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1947 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1947 auf Seite 264. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 1. Jahrgang 1947 (NJ SBZ Dtl. 1947, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1947, S. 1-264).

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