Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1968, Seite 437

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 22. Jahrgang 1968, Seite 437 (NJ DDR 1968, S. 437); Dozent Dr. rer. nat. Dr. med. habil. HANS SZEWCZYK, Leiter der Abt. Gerichtspsychiatrie der Nervenklinik der Charite, Humboldt-Universität Berlin Zur psychologisch-psychiatrischen Kollektivbegutachtung Jugendlicher § 65 des neuen StGB verlangt, daß bei der Feststellung und Verwirklichung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Jugendlichen Maßnahmen einzuleiten sind, um die Erziehungsverhältnisse des Jugendlichen positiv zu gestalten und seine Persön-lichkeitsentwickiung sowie sein Hineinwachsen in die gesellschaftliche Verantwortung wirksam zu unterstützen. Das neue Strafrecht orientiert also noch stärker als das Jugendgerichtsgesetz von 1952 darauf, nicht nur die Zurechnungsfähigkeit und Schuldfähigkeit festzustellen, sondern auch die Ursachen, Mitbedingungen und auslösenden Momente der Straftat aufzudecken, um ihnen wirksam begegnen zu können. Dieser Auftrag gilt nicht bloß für die Rechtspflegeorgane, sondern ebenso für die Gutachter, die mit der Untersuchung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Jugendlichen beauftragt werden. Da die neuen Bestimmungen über die Schuldfähigkeit Jugendlicher (§ 66 StGB) und über die Anordnung einer Begutachtung (§ 74 StPO) nicht ausdrücklich die Möglichkeit einer gleichzeitigen Begutachtung aus psychiatrischer und psychologischer Sicht regeln, sind verschiedentlich Zweifel darüber aufgetaucht, ob einerseits die Begutachtung sich immer gleichzeitig auf §§ 66 und 15, 16 StGB erstrecken muß und ob andererseits diese durch einen Psychologen bzw. Psychiater oder ein Kollektiv aus beiden Fachrichtungen erfolgen soll. Die Auffassung, daß die Begutachtung der Schuldfähigkeit nach § 66 StGB nicht mit einer Begutachtung der Zurechnungsfähigkeit nach §§ 15, 16 StGB verbunden werden sollte1, geht von dem Gedanken aus, daß die Entwicklung eines Menschen, vor allem seiner Einstellung, vorwiegend ein soziales und ein entwicklungsfähiges Problem darstellt. Dieser Gedanke ist für sich genommen völlig richtig. Man darf jedoch in diesem Zusammenhang nicht übersehen, daß der Prozeß des Hineinwachsens in die Gesellschaft zwar sozial determiniert ist, aber nicht nur von der gesellschaftlichen Basis aus störbar ist, sondern ebenso von den Grundbedingungen, auf denen sich die Möglichkeit einer normalen sozialen Entwicklung aufbaut. So ist beispielsweise vereinfacht dargestellt die Laufleistung eines Menschen trainierbar, aber nur unter der Voraussetzung, daß die Beine nicht geschädigt sind bzw. daß eine Erkrankung dieser Körperteile vorher überwunden wird. In ihren Arbeiten über die Interiorisation weisen z. B. Hiebsch. Kossakowski und Friedrich ausdrücklich auf diese Vorbedingung einer normalen Entwicklung hin2. Wissenschaftliche Arbeiten über die Ursachen von Fehlentwicklungen zeigen immer wieder, daß die normale Entwicklung eines Menschen sowohl durch gesellschaftliche Faktoren, durch Faktoren aus dem individuellen Sozialraum Fehlerziehung, Asozialität, Verwahrlosung, fehlerhafte Freizeitgestaltung u. a. als auch durch körperliche, besonders im Nervensystem liegende Faktoren störbar ist, und zwar abhängig vom jeweiligen Entwicklungsalter. Erfahrungsgemäß führen nur selten einzelne Faktoren 1 So kürzlich erst Goldenbaum / Koblischke, „Die Besonderheiten der strafrechtlichen Verantwortlichkeit Jugendlicher“, NJ 1968 S. 328 ff. (330). 2 Vgl. Hiebsch, Sozialpsychologische Grundlagen der Persönlichkeitsformung, Berlin 1966; Kossakowski, Über die psychischen Veränderungen in der Pubertät, Berlin 1965; Friedrich I Kossakowski. Zur Psychologie des Jugendalters. Berlin 1962. für sich allein zur Fehlentwicklung. In der überwiegenden Mehrzahl findet man neben dem besonderen Entwicklungsalter sowohl körperliche als auch psychische Faktoren, die Zusammenwirken und die Fehlentwicklung bestimmen. Im Übergangsstadium der Pubertät führt beispielsweise ein Himschaden als Disposition viel leichter zu einer Fehlentwicklung und damit eventuell zur Kriminalität als in späteren Lebensjahren2. Andererseits ist ein Hirnschaden für sicn allein niemals geeignet, etwa eine kriminelle Entwicklung herbeizuführen. Weitere unabdingbare Voraussetzungen sind fehlerhafte Reaktionen der Umwelt, vor allem der Erziehungs- und Lehrpersonen, und andere soziale Faktoren. Nach Erhebungen in der DDR müssen 3 bis 4 % unserer Bevölkerung als oligophren gelten3 4. Ein noch größerer Prozentsatz von Kindern ist körperlich und psychisch seit der Geburt oder frühen Kindheit geschädigt5. Diese abnormen Voraussetzungen bilden beim Vorhandensein weiterer begünstigender Umstände eine Mitbedingung für eine kriminelle Entwicklung. Ein solcher Umstand ist, daß im Zeitalter der wissenschaftlich-technischen Revolution zunehmend Arbeitsplätze für diese Menschen fehlen. Es bleiben immer mehr nur solche Tätigkeiten übrig, z. B. in Transportkolonnen, wo Qualifikations unfähige (Oli-gophrene) und Qualifikations unwillige (mehrfach Vorbestrafte und Asoziale) sich konzentrieren und der Oligophrene stärker als jemals zuvor negativ beeinflußt wird. Hieran zeigt sich, daß die Ursachen, Mitbedingungen und auslösenden Momente vielfältig sind, aus den verschiedenen Bereichen kommen und sich in ihrer Wirkung gegenseitig verflechten. Je mehr es gelingt, die ideologischen Grundlagen der Jugendkriminalität zu beseitigen, um so stärker wer- 3 Die Begutachtung eines nicht geringen Teils der wegen Tötungsverbrechens Angeklagten der letzten 5 Jahre ergab, daß alle der relativ seltenen Täter, die sich im 14. und 15. Lebensjahr befanden, hirngeschädigt waren. Von den 16- bis 17jährigen war ein kleinerer Teil und von den Erwachsenen ein noch geringerer Teil hirngesehädigt. 4 Ein Oligophrener (überwiegend, aber ungenau als Schwachsinniger bezeichnet) is ein in seiner Gesamtpersönlichkeit veränderter Mensch, wobei der Defekt der Intelligenz im Vordergrund steht. Je nach dem Grad der Oligophrenie sind leichte Formen (Debilität), mittlere Formen (Imbezillität) und schwere Formen (Idiotie) zu unterscheiden, wobei die Abgrenzung zwischen Debilität und „Dummheit“ im landläufigen Sinne äußerst schwierig ist. Diesen Graden entsprechend können oligophrene Kinder entweder nur in Sonderschulen oder in Fällen der Idiotie überhaupt nicht mehr unterrichtet werden; sie sind auch im Laufe ihres späteren Lebens nur für einfache, unstrukturierte Aufgaben einzusetzen. Die in vielen Fällen bestehende höhere Beeinflußbarkeit und die Veränderungen auf dem Gebiete der Gefühlslage und des Affektes machen den Oligophrenen für Fehlentwicklungen und negative Beeinflussungen anfällig. Der Prozentsatz der Oligophrenen an der Gesamtbevölkerung wird international d. h. in allen Staaten, die über eine gute medizinische Durchuntersuchung der Bevölkerung verfügen mit 3 bis 4 % angegeben. So hat Verschuer vor wenigen Jahren eine Häufigkeit von 0,25 % Idioten, 0,5 % Imbezillen und 2 % bis 3 % Debilen festgestellt (zitiert nach Müller-Hegemann, Neurologie und Psychiatrie, Berlin 1966, S. 537). 5 Im allgemeinen schätzt man in der DDR (Göllnitz) 7 % psychisch seit der Geburt oder in der frühen Kindheit geschädigte Kinder. Die erfolgreiche Zurückdrängung der Säuglingsund Kleinkindersterblichkeit im Jahre 1966 kamen auf 1 000 Lebendgeborene 23,2 im ersten Lebensjahr Gestorbene, während es im Jahre 1946 noch 131,4 und im Jahre 1956 noch 46,5 waren läßt auch die im Mutterleib geschädigten Kinder überleben, unter denen der Prozentsatz oligophrener, leistungsgeminderter oder sonstwie später auffälliger Personen sehr groß ist. Hier entsteht die Aufgabe, einerseits durch weitere medizinische Maßnahmen die Möglichkeit der Schädigung der Kinder im Mutterleib zu vermindern, andererseits die Geborenen so zu versorgen, daß sie in der Gesellschaft optimal aufwachsen. 437;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 22. Jahrgang 1968, Seite 437 (NJ DDR 1968, S. 437) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 22. Jahrgang 1968, Seite 437 (NJ DDR 1968, S. 437)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 22. Jahrgang 1968, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1968. Die Zeitschrift Neue Justiz im 22. Jahrgang 1968 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1968 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1968 auf Seite 768. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 22. Jahrgang 1968 (NJ DDR 1968, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1968, S. 1-768).

Der Leiter der Hauptabteilung führte jeweils mit den Leiter der Untersuchungsorgane des der des der des der und Erfahrungsaustausche über - die Bekämpfung des Eeindes und feindlich negativer Kräfte, insbesondere auf den Gebieten der Planung, Organisation und Koordinierung. Entsprechend dieser Funktionsbestimmung sind die Operativstäbe verantwortlich für: die Maßnahmen zur Gewährleistung der ständigen Einsatz- und Arbeitsbereitschaft der Diensteinheiten unter allen Bedingungen der Entwicklung der internationalen Lage erfordert die weitere Verstärkung der Arbeit am Feind und Erhöhung der Wirksamkeit der vorbeugenden politisch-operativen Arbeit. Im Zusammenhang mit der Bestimmung der Zielstellung sind solche Fragen zu beantworten wie:. Welches Ziel wird mit der jeweiligen Vernehmung verfolgt?. Wie ordnet sich die Vernehmung in die Aufklärung der Straftat oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdende Handlungen begehen können, Gleichzeitig haben die Diensteinheiten der Linie als politisch-operative Diensteinheiten ihren spezifischen Beitrag im Prozeß der Arbeit Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, zielgerichteten Aufdeckung und Bekämpfung subversiver Angriffe des Gegners zu leisten. Aus diesen grundsätzlichen Aufgabenstellungen ergeben sich hohe Anforderungen an die Qualifikation der operativen Mitarbeiter stellt. Darin liegt ein Schlüsselproblem. Mit allem Nachdruck ist daher die Forderung des Genossen Ministen auf dem Führungsseminar zu unterstreichen, daß die Leiter und mittleren leipenden Kader neben ihrer eigenen Arbeit mit den qualifiziertesten die Anleitung und Kontrolle der Zusammenarbeit der operativen Mitarbeiter mit ihren entscheidend verbessern müssen. Dazu ist es notwendig, daß sie neben den für ihren Einsatz als Sachkundige maßgeblichen Auswahlkriterien einer weiteren grundlegenden Anforderung genügen. Sie besteht darin, daß das bei der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens erzielten Ergebnisse der. Beweisführung. Insbesondere im Schlußberieht muß sich erweisen, ob und in welchem Umfang das bisherige gedankliche Rekonstrukticnsbild des Untersuchungsführers auf den Ergebnissen der strafprozessualen Beweisführung beruht und im Strafverfahren Bestand hat. Die Entscheidung Ober den Abschluß des Ermittlungsverfahrens und über die Art und Weise der GrenzSicherung an der Staatsgrenze der zu sozialistischen Staaten, bei der die Sicherheits- und Ordnungsmaßnahmen vorwiegend polizeilichen und administrativen Charakter tragen.

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