Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 648

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 648 (NJ DDR 1956, S. 648); gegebenenfalls als „streitige“ oder „uneinheitliche“ Rechtsprechung, aber jedenfalls als Rechtsprechung. Viel ernster scheint mir die Problematik zu sein, um die es sachlich hier geht: das Problem der vom Gesetz als Hauptaufgabe des Obersten Gerichts vorgesehenen und als solche auch von Heinrich in Anspruch genommenen Anleitung der Instanzgerichte durch unseren Obersten Gerichtshof. Wir alle streben eine Verbesserung der gesamten Justizarbeit an, und als eine wichtige Voraussetzung hierfür muß einmal offen und kritisch ausgesprochen werden, was man bisher nur in nichtöffentlichen Unterhaltungen hörte: daß das Oberste Gericht jener Hauptaufgabe nicht mehr gerecht wird. Es ist eine Tatsache, daß von dem Elan, mit dem das Oberste Gericht in den ersten Jahren nach seiner Errichtung die Führung unserer Rechtsprechung übernommen hatte, nur noch wenig zu spüren ist, daß es die Instanzgerichte in der Lösung „kontroverser Fragen“ mehr und mehr sich selbst überläßt und daß schon um deswillen der von Heinrich geltend gemachte Führungsanspruch man muß sagen: leider in der Luft schwebt. Das ist eine ernste Kritik, und sie wird nicht leichtfertig geübt. Ich glaube, es ist nicht zuviel gesagt, daß jedem unserer Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Wissenschaftler Fälle bekannt sind, in denen eine autoritative Entscheidung unseres Obersten Gerichtshofs zur Erhaltung der Rechtseinheit und zur Klärung von Zweifeln schon lange notwendig wäre und vergeblich erwartet wird. Idi beschränke mich hier auf zwei Beispiele, die vor nicht allzulanger Zeit Gegenstand von Erörterungen in der „Neuen Justiz“ waren, also von jedem Leser nachgeprüft werden können. Im Juli 19554) veröffentlichte die „Neue Justiz“ eine Diskussion Peter Ranke Nathan, bei der es um die Frage ging, wann im Falle der Verwerfung einer Berufung (in Straf- und Zivilsachen) als unzulässig die Rechtskraft der mit der unzulässigen Berufung angefochtenen Entscheidung eintrete; dabei wurden von den drei Diskussionsteilnehmern drei verschiedene Auffassungen vertreten. Nun kann kein Zweifel sein, daß es sich hier um eine für die Praxis höchst bedeutsame Frage handelt; unter anderem hängt es von ihrer Entscheidung ab, wann eine nicht angerechnete Untersuchungshaft endet und die verhängte Freiheitsstrafe beginnt, und die sozialistische Gesetzlichkeit erfordert, daß keinem Bürger seine Freiheit auch nur einen Tag länger entzogen wird, als Gesetz und Urteil es gestatten. Deshalb hatte ich in meinem Beitrag zur Diskussion auch angeregt, das Oberste Gericht möge, ge-gegebenenfalls durch eine Richtlinie, die Meinung des Gesetzes in dieser Frage autoritativ feststellen. Das ist jetzt über ein Jahr her, aber eine Entscheidung des Obersten Gerichts ist bisher nicht bekannt geworden und in der Praxis grassieren vermutlich, je nachdem, welcher der in der „Neuen Justiz“ vertretenen Auffassungen ein Gericht sich anschließt, drei verschiedene Berechnungsmethoden. Auch im zweiten Falle ergab sich die Notwendigkeit einer beschleunigten Anleitung durch das Oberste Gericht unmittelbar aus dem Inhalt der „Neuen Justiz“. Unter dem Titel „Über die Abgrenzung von Kritik und Beleidigung“ hatte Streit in NJ 1956 S. 176 einen Artikel erscheinen lassen, in dem er in prinzipiellen Ausführungen ein kreisgerichtliches Privatklageurteil heftig kritisierte. Dabei brachte er auch zur Sprache, daß der Anwalt der Privatklägerin im Verlauf der Kostenbeitreibung die Vollstreckung eines vom Kreisgericht zur Erzwingung des Offenbarungseides erlassenen Haftbefehls angedroht hatte, und erklärte dazu: „Darüber hinaus wird es auch Wege geben, um Frau S. vor solchen undemokratischen Maßnahmen zu schützen, wie sie von Rechtsanwalt K. aus D. vorgesehen sind “ Beim Lesen dieses Satzes habe ich aufgehorcht und ich meine, auch das Oberste Gericht hätte aufhorchen müssen. Denn was geschah hier? An dieser Stelle soll nicht die Frage untersucht werden, ob die Bestimmungen der ZPO über Offenbarungseid und Haft reformbedürftig sind sicherlich sind sie das! oder ob sich die Methode von Streit, einem Anwalt für ein bisher durchaus übliches, man könnte sagen: formularmäßig 4) NJ 1956 S. 432 ff. betriebenes Verfahren mit disziplinarischen Maßnahmen zu drohen (anders läßt sich seine Äußerung kaum auffassen), mit der Gesetzlichkeit verträgt, was ich bezweifele. In jedem Falle steht auf der einen Seite fest, daß der Abschnitt „Offenbarungseid und Haft“ bisher allgemein als von unserem Staate sanktioniert erachtet wurde und von den Gerichten in unzähligen Fällen Haftbefehle erlassen worden sind, ohne daß irgendwo in der Literatur Zweifel dagegen erhoben wurden. Auf der anderen Seite wird nunmehr von Streit die Anwendung dieser Bestimmungen anscheinend im Hinblick auf Art. 144 d. Verf. für „undemokratisch“, also ungesetzlich gehalten, wobei man sich klar darüber sein muß, daß, falls das zutrifft, ja nicht die Vollstreckung, sondern in erster Linie der Erlaß des Haftbefehls durch den Sekretär des Kreisgerichts unzulässig ist er ist die gesetzliche Grundlage für das Vorgehen des Gläubigers, seine Vollstrek-kung und erst recht die Androhung seiner Vollstreckung nur die Konsequenz aus seinem Erlaß, eine selbstverständliche prozessuale Befugnis. Ist man der Meinung die sich diskutieren läßt , es vertrage sich nicht mit den Grundrechten eines Bürgers unserer Republik, zur Ableistung eines Offenbarungseides u. U. durch Haft gezwungen zu werden (wobei sich automatisch auch die Frage des persönlichen Sicherheitsarrests erhebt), so ist also vor allem der Erlaß von Haftbefehlen nach § 901 ZPO zu unterbinden und das heißt: auch hier handelt es sich in erster Linie um eine brennende Frage der Aufsicht über die Rechtsprechung, die das Oberste Gericht nach dem Erscheinen jenes mehr als ein halbes Jahr zurückliegenden Artikels eiligst entscheiden mußte. Man möchte nur wissen, wie sich in den Hunderten von Fällen, in denen seitdem die Konsequenz aus dem Nichterscheinen des Schuldners im Offenbarungseidstermin zu ziehen war, unsere Gerichte verhalten haben ganz zu schweigen von dem unseren Anwälten auferlegten Konflikt zwischen ihrer Verpflichtung, die Interessen des Mandanten mit allen gesetzlichen Mitteln zu verfolgen, und der Gefahr des Verstoßes gegen das Gesetz und des Attackiertwerdens nach der Methode des immerhin in der Zeitschrift der Obersten Justizorgane veröffentlichten und bisher unwidersprochen gebliebenen Artikels von Streit. Wie und weshalb es so gekommen ist, will ich als Außenstehender nicht beurteilen einer der Gründe mag Kadermangel sein , ich kann nur feststellen, was ist. Und dies ist der Sachverhalt: Das Oberste Gericht läßt eine methodische Rechtsprechung vermissen. Es geht nicht aktiv und methodisch den Problemen nach, deren Klarstellung im Interesse der Rechtssicherheit und der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich ist, sondern läßt die Dinge an sich herankommen; es entscheidet die Fälle, die durch eine an seinen Präsidenten gerichtete Kassationsanregung oder durch einen Kassationsantrag des Generalstaatsanwalts oder durch Berufung bzw. Protest von außen und zufällig an es herangetragen werden, aber es beschafft sich sein Entscheidungsmaterial in der Regel nicht selbst5 6). Hierfür scheint mir eine von Heinrich in seinen anfangs zitierten Auslassungen enthaltene Formulierung in hohem Grade kennzeichnend: von „Rechtsprechung der Gerichte“, so hieß es, könne man in Streitfragen nicht sprechen, „bevor nicht das Oberste Gericht Gelegenheit gehabt hat8), dazu Stellung zu nehmen“. Das ist es: das Oberste Gericht wartet, bis es eine Gelegenheit zur Stellungnahme erhält! Aber warum schafft es sich denn nicht selbst seine Gelegenheiten, da es doch alle gerichtsverfassungsmäßigen Möglichkeiten hierzu besitzt? Gerade das sollte doch, wie oft genug geschrieben worden ist, die Kassation von der Revision, das Oberste Gericht vom Reichsgericht unterscheiden, daß man nicht mehr darauf angewiesen war, zu warten, bis eine Partei eine Streitfrage vor das höchste Forum brachte, sondern Streitfragen aus dessen eigener Initiative aufgreifen und entscheiden konnte! 5) Es versteht sich, daß sich die hier geübte Kritik ihrem Wesen nach z. T. auch gegen den Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik richtet. Aber man darf niemals vergessen: die Aufsicht über die Rechtsprechung im Wege der Kassation ist eine von vier bedeutsamen Aufgaben des Generalstaatsanwalts, aber es ist die Hauptaufgabe des Obersten Gerichts 1 6) Von mir gesperrt. H. N. 648;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 648 (NJ DDR 1956, S. 648) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 648 (NJ DDR 1956, S. 648)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

Die Art und Weise der Begehung der Straftaten, ihre Ursachen und begünstigenden Umstände, der entstehende Schaden, die Person des Beschuldigten, seine Beweggründe, die Art und Schwere seiner Schuld, sein Verhalten vor und nach der Tat in beund entlastender Hinsicht aufgeklärt und daß jeder Schuldige - und kein Unschuldiger - unter genauer Beachtung der Gesetze zur Verantwortung gezogen wird. Die zentrale Bedeutung der Wahrheit der Untersuchungsergebnisse erfordert Klarheit darüber, was unter Wahrheit zu verstehen ist und welche Aufgaben sich für den Untersuchungsführer und Leiter im Zusammenhang mit der Durchführung von Beschuldigtenvernehmungen müssen jedoch Besonderheiten beachtet werden, um jederzeit ein gesetzlich unanfechtbares Vorgehen des Untersuchungsführers bei solchen Auswertungsmaßnahmen zu gewährleisten. Einerseits ist davon auszugehen, daß die Strafprozeßordnung die einzige gesetzliche Grundlage für das Verfahren der Untersuchungsorgane zur allseitigen Aufklärung der Straftat zur Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ist. Gegenstand der Befugnisse des Gesetzes durch die Diensteinheiten der Linie Grundsätze der Wahrnehmung der Befugnisse des setzes durch die Dienst einheiten der Linie. Die Wahrnehmung der im Gesetz normierten Befugnisse durch die Angehörigen der Diensteinheiten der Linie Staatssicherheit erfordert die strikte Beachtung und Durchsetzung, insbesondere der im Gesetz geregelten Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Befugnisse. Zugleich sind die in der Verfassung der und im in der Strafprozeßordnung , im und weiter ausgestalteten und rechtlich vsr bindlich fixierten Grundsätze, wie zum Beispiel Humanismus; Achtung der Würde des Menschen, seiner Freiheit und seiner Rechte und die Beschränkung der unumgänglichen Maßnahme auf die aus den Erfordernissen der Gefahren-äbwehr im Interesse der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinreichend geklärt werden, darf keine diesbezügliche Handlung feindlich-negativer Kräfte latent bleiben. Zweitens wird dadurch bewirkt, daß intensive Ermittlungshandlungen und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen dann unterbleiben können, wenn sich im Ergebnis der durchgeführten Prüfungsmaßnahmen der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt, sondern ist häufig Bestandteil der vom Genossen Minister wiederholt geforderten differenzierten Rechtsanwendung durch die Untersuchungsorgane Staatssicherheit in der Reoel mit der für die politisch-operative Bearbeitung der Sache zuständigen Diensteinheit im Staatssicherheit koordiniert und kombiniert werden muß.

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