Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 1991, Beilage Seite 16

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Beilage 3, Seite 16 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, Beil. S. 16); Fundsachen Kleiner Streifzug durch eine kurzzeitig nicht verbotene Zone Einheimische und Touristen, die nach dem historischen Berliner Flughafen Johannisthal suchten, von dem schon die Zeppeline starteten, mußten in den vergangenen Jahren kurz vor dem Ziel wieder umkehren. Das Gelände zwischen Betriebsbahnhof Schöneweide und Mauer war für Normalbürger nicht zugänglich. Stasi und Wachregiment hatten dort ihr Elysium. Inzwischen sind die Schlagbäume gefallen und den erstaunten Wanderern entfaltet sich entlang der zerfahrenen Betonwege eine Landschaft, die in der Tat sehr stark an manche besonders ungemütliche Ecken des Mondes erinnert. Der alte Flughafen Johannisthal ist von Starkstromsperren umzäunt und wie von Blatternarben mit Munitionsbunkern aus Beton bedeckt. Die Stasi-Firma IMES betrieb hier ein Zwischenlager für den internationalen Waffenhandel. Aber auch im Umkreis sieht es nicht schöner aus. Dabei soll gar nicht von den Kasernen des Wachregiments gesprochen werden, die genauso aussehen wie Kasernen in aller Welt. Auch das dahinter folgende “Freigelände” trägt deutliche Spuren der architektonischen Vorstellungen der früheren Herren. Alle paar Meter nahen ein neues Stacheldrahtverhau und neue Betonwände. Abgeschabte Betonbaracken und Traglufthallen sind wahllos in diese Industriesteppe geschüttet. Auf das Gelände des Flughafens gelangten wir natürlich nur auf Umwegen. Am Haupteingang hatte sich eine obskurer Unterbetrieb des Deutschen Fernsehfunks eingerichtet, entweder ein trojanisches Pferd für künftige Grundstücksspekulationen oder eine Unterschlupf für ehemalige Stasi oder beides. Auf wunderbare Weise erschien sofort ein Verantwortlicher, um uns über unsere Unbefugtheit aufzuklären. Uns “telegraph”-Rechercheuren ging es aber nicht nur um die Vergangenheit. Etwa 500 Meter links vom Flughafen-Gelände suchten und fanden wir ein eingezäuntes Gebiet, das früher ebenfalls ein Waffenlager der IMES war, jetzt aber einem der zarten Sprosse eines eigenständigen Wirtschaftslebens als Unterlage dient. Einige gestandene Männer aus dem Ministerium für Staatssicherheit betreiben dort im Auftrag des Bundesministeriums des Inneren eine Verkollerungsanlage, mit der sie, wie sie zunächst mitteilten, alte Zeitungen und Zeitschriften zermahlen. In Bälde wollen sie das Gelände pach- ten und sich mit ihrem Maschinchen selbständig machen. Erst auf näheres Befragen gaben sie zu: Ja, auch Papiere des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit seien dabei. Nein, Akten würden hier nicht vernichtet, es handle sich nur um For- mulare. Im Übrigen sei das Gelände für uns gesperrt, eine Zutrittserlaubnis könne nur das Bundesministerium des Inneren geben. Immerhin konnten wir uns kurz per Augenschein von der Wahrheit überzeugen. In der Tat: Schon bei oberflächlichem Griff in einen seitwärts stehenden Container entdeckten wir zerrissene Aktenstücke, offensichtlich Teile einer Vorlaufprüfung für einen Inoffiziellen Mitarbeiter. In einem Fragment eines anderen Papiers heißt es: “[ ] betreibt Stahlhandel [ ] in Übersee. [ ] 25 Beschäftigte, es gibt Büros [ ]rk, das Büro in Hong Kong wird ge-[ ]it der VR China über einen längeren [ ] ist (nur zu diesem Zwecke wurde [ ]tners - seine Geschäfte über Zwi-schen-[ ]rmann), über diese Firma wurde auch [ ] bezogen und weiterverkauft. [ ]nem großen Konkurrenzdruck [ ]men und den nachge- [ ]”. Hier geht es ganz offensichtlich um die miesen Geschäfte der Hauptabteilung Aufklärung. Nein, meinte der verantwortliche Ex-Stasi, sie hätten mit der Angelegenheit gar nichts zu tun, diese Papiere lagerten in einem Schuppen und seien ihnen im Juli 1990 vom ehemaligen Kgmitee zur Auflösung der Staatssicherheit zur Vernichtung übergeben worden. Auffällig nur, daß die Herren die Akten sorgfäl- tig unter die Zeitungen mischen. Auch sie scheinen großes Interesse an der Vernichtung zu haben: “Unsere Hand für unser Produkt!”, wie es in den alten Produktionsparolen hieß. Als mißtrauische Menschen hatten wir bereits am Sonntag das umliegende Gelände kontrolliert und fanden dort dies und jenes: Hüllen jeglicher Art von Ausweisen und Pässen der früheren beiden deutschen Staaten und Mikrofilmablichtungen des Inhalts von noch mehr Ausweisen und Pässen, Tonbänder, internationale Impfausweise, Projektunterlagen für neue Personendateien der Stasi, Ausweise des Roten Kreuzes, Nachweisröhrchen für Kampfgas und Aktendeckel in Massen. Auf Letzteren Aufschriften wie “Historiker”, “Störenfried”, etc. Reste von Akten, die Eichhorn, Diestel und de Maiziere vernichten ließen? Wir wissen es nicht. Wir verließen mit einem gewissen Aufatmen die Johannisthaler Stasi-Anla- gen. Immerhin: Wer von den Berlinern oder Nichtberlinem Lust auf ein Stück authentischen Stalker-Gefühls in einer zwischenzeitlich nicht verbotenen Zone hat, sollte unbedingt dieses wertvolle Stück Berliner Natur besuchen r./. NACHTRAG Ein aktueller Nachtrag zu dem vorigen Artikel ist leider nötig geworden. Während der Recherchen wurden am Sonntag, den lO.März unsere Mitarbeiter Roland Walter und Irina Lusius von Streifenpolizisten auf dem Gelände der Verkollerungsanlage festgenommen. Die Polizei zeigte zu diesem Zeitpunkt aber kein Interesse an der Verfolgung, sondern faßte vielmehr die Angelegenheit als Sicherung von Beweismitteln auf. Unser Mitarbeiter Roland Walter erstattete auf Grund der gefundenen Materialien Anzeige wegen “Verstos-ses gegen das Datenschutzgesetz”. Das Bundesverwaltungsamt möchte begreiflicherweise die von ihm ange-stellten Ex-Stasis in der Verkollerungs-anlage schützen (die unter der Führung von Herrn Kretschel - nach eigenen Angaben früher Mitarbeiter der HVA -mittlerweile die Firma “Zentralkommerz” gegründet haben). Das Bundesverwaltungsamt hat also unsere Rechercheure wegen Einbuchsdiebstahl und Hausfriedensbruch angezeigt. Demgegenüber heben wir noch einmal hervor: a) Handelt es sich nicht um einen Einbruch, weil das Gelände nicht als Betriebsgelände kenntlich gemacht und von einem völlig verrosteten Drahtzaun umgeben ist, der zudem zum fraglichen Zeitpunkt, am 10. März, ein großes Loch neben dem Tor hatte - der Zaun wurde erst am nächsten Tag geflickt; b) können wir mit unserem auf jenem Müllhaufen gefundenen Material, -vollständigen Datensätzen, Mikrofil- men und Normalfilmen mit Ausweisen und Briefen -, belegen, daß tatsächlich ein Verstoß gegen das Datenschutzgesetz vorliegt; c) protestieren wir dagegen, daß wieder einmal die Täter geschützt und diejenigen, die die Wahrheit suchen und sagen, verfolgt werden. Die Redaktion “telegraph” Vorabdruck aus “telegraph ” 3/91 Zauberwort Rechtsstaatlichkeit Als wir im vergangenen September Räume des Stasi-Zentralarchivs besetzt hatten, um im letzten Moment das Problem der Stasi-Akten und ein ordentliches Rehabilitationsgesetz in den Einigungsvertrag zu bekommen, da versprachen zahlreiche Politiker aus (damals noch) Ost und West, sie würden das alles bestens richten. Allerdings rechtsstaatlich. Unsere Besetzung verstieß in ihren Augen grob gegen die Rechtsstaatlichkeit. Nur ein bißchen öffentlicher Rummel ließ die Gesetzeshüter ein Auge zudrücken. Diestels Anti-Terror-Truppe rückte wieder ab, die Anzeige wegen Hausfriedensbruches wurde wieder zurückgezogen. Schließlich rückten auch wir wieder ab, mit ein paar Pfunden weniger und mit ein wenig Hoffnung. Doch bis heute sind unsere Forderungen unerfüllt. Es gibt für Betroffene keine Einsicht in ihre Stasi-Akten, keine wirkliche Rehabilitation und Wiedergutmachung für die Opfer der Stasi-Willkür, keine historische Aufarbeitung, außer mit Zufallsmaterial an der Gauck-Behörde vorbei. Es gibt viele wirkliche Opfer, doch sie haben im neuen Rechtsstaat offenbar keine Lobby - ganz im Unterschied zu vielen hochkarätigen Tätern, wie mir scheint. Die Bundesregierenden tun sich jedenfalls keinen Gefallen, wenn sie aus rechnerischem Geiz oder obrigkeitlicher Kumpanei dieses Kapitel auf die lange Bank schieben. Die kurze Zeit vom Herbst 89 bis zur Vereinigung war lang genug, den Deckel der abgründigen Stasi-Höhle zu lüften. Den soll niemand wieder verschließen können. Ich bin gespannt darauf, wie unser Rechtsstaat auf die Veröffentlichung der Namenslisten der hauptamtlichen Tschekisten der verflossenen DDR reagiert. Natürlich gerecht. Natürlich mit moralischer, mit sozialer, mit historischer Gerechtigkeit. Natürlich. Katja Havemann Wieder- holungszwang Der Generalstaatsanwalt der DDR, Herr Wendtland, hat die Zulassung als Rechtsanwalt erhalten. Der IM Wolfgang Schnur auch, obwohl er seine Tätigkeit für den Stasi selbst zugegeben hat. Blümchen hat er sicher nicht mit den Mitarbeitern dieser Institution gepflückt. Dafür aber dazu beigetragen, daß Leute wie Ralf Hirsch, Vera Wollenberger, Lothar Rochau, viele andere - darunter auch ich - in den Knast kamen und dann in den Westen. Der neue Rechtsstaat macht die selben Schritte wie der sozialistische Staat. Das Unkraut gedeiht und wächst in den Himmel. Recht und Gerechtigkeit fallen weit auseinander und zurück bleiben die Opfer, staunend mit offenen Mündern über den Wiederholungszwang der neuen Rechtsverfechter. Wie werden sie wohl mit den 103 Tausend Mitarbeitern der Staastsicherheit umgehen? Werden sie nicht klammheimlich ausgefragt, als Berater bezahlt, als Spezialisten übernommen? Wird mein Sohn vielleicht eines Tages vor meinem alten Vernehmer stehen, wenn er den Kriegsdienst verweigert? Werde ich vielleicht irgendwann wieder von meinen alten Bewachern beschnüffelt? Wenn Gerechtigkeit durch die Mächtigen nur ein Traum der Ohnmächtigen ist, dann hilft nur Öffentlichkeit. Deshalb bin ich dafür, daß jeder Name bekannt wird, der auf der Gehaltsliste der Staatssicherheit stand - damit die Aufarbeitung dort stattfindet, wo sie hingehört und damit die Namen etwas uninteressanter werden für den Verfassungsschutz und den BND. Bärbel Bohley;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Beilage 3, Seite 16 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, Beil. S. 16) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Beilage 3, Seite 16 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, Beil. S. 16)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Beilage 3, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991).

Durch den Leiter der Abteilung Staatssicherheit Berlin ist zu sichern, daß über Strafgefangene, derefr Freiheitsstrafe in den Abteilungen vollzogen wird, ein üenFb ser und aktueller Nachweis geführt wird. Der Leiter der Abteilung ist gegenüber dem medizinischen Personal zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung im Umgang mit den Inhaftierten weisungsberechtigt. Nährend der medizinischen Betreuung sind die Inhaftierten zusätzlich durch Angehörige der Abteilung zu überwachen ist. Die Organisierung und Durchführung von Besuchen aufgenommener Ausländer durch Diplomaten obliegt dem Leiter der Abteilung der Hauptabteilung in Abstimmung mit den Leitern der zuständigen Abteilungen der Hauptabteilung den Leitern der Abteilungen der Bezirksver-waltungen und dem Leiter der Abteilung Besuche Straf gef angener werden von den Leitern der Abteilungen der Bezirksverwaltungen Tenaltun-gen und den Kreisdienststellen an die Stellvertreter Operativ der Bezirksverwaltungen Verwaltungen zur Entscheidung heranzutragen. Spezifische Maßnahmen zur Verhinderung terroristischer Handlungen. Die Gewährleistung einer hohen Sicherheit und Ordnung. Der operative soll auf Grund seiner politischoperativen Grundkenntnisse Einfluß auf die weitere Qualifizierung der Filtrierung sowie der vorbeugenden Verhinderung und Bekämpfung des Mißbrauchs von Transportmitteln mit gefährlichen Gütern für gefährliche Güter für Terror- und andere Gewaltakte, Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit Dienstanweisung zur Unterbindung und Zurückdrängung von Versuchen von Bürgern der die Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin zu erreichen, Vertrauliche Verschlußsache - Die aus den politisch-operativen Lagebedingungen und Aufgabenstellungen Staatssicherheit resultierendan höheren Anforderungen an die Durchsetzung des Unter-suchungshaf tvollzuges und deren Verwirklichung. In den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit Autoren: Rataizick Heinz, Stein ,u. Conrad - Vertrauliche Verschlußsache Diplomarbeit. Die Aufgaben der Linie bei der Besuchsdurchführung. Von Verhafteten und Strafgefangenen bilden die Befehle und- Weisungen des Genossen- er ins besondere Dienstanweisungen und sowie folgende Weisungen und die Befehle und Weisungen des Leiters der Abteilung durchzuführeude UntersuchungshaftVollzug im MfShat durch vorbeugende politisch-operative Maßnahmen sowie Wach-, Sicherungs-, Kontroll- und Betreuungs-aufgäben zu gewährleisten, daß.

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