Ach so, für die Videoarbeit "Beruhigungsverwahrraum" haben wir uns auf einen „falschen Namen“ verständigt, da er seinen wirklichen Namen in der Öffentlichkeit aus verschiedenen, nachvollziehbaren Gründen nicht genannt haben möchte. Wir einigten uns auf ein Synonym: "Anderer Mensch“. In der Vergangenheit hat der „Andere Mensch“ sehr wenig über seine Zeit der Inhaftierung gesprochen, weshalb nur wenige überhaupt davon wissen, das er in dieser schwarzen Gummizelle war. Nur Wenigen ist überhaupt bekannt, dass er von der Stasi inhaftiert wurde. Der „Andere Mensch“ hatte in der Vergangenheit vermieden, seine DDR-Haftgeschichte außerhalb seines sehr kleinen persönlichen Umfeldes zu thematisieren.
Vor etwa sechs Monaten habe ich ihn dann angerufen. Und ihn gefragt, ob er sich es vorstellen könne - ob er irgendein Interesse daran hätte - eventuell mal zu mir in die Werkstatt zu kommen und etwas zu sprechen. Ob er mir mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen helfen könne bei diesem Projekt. Ich sagte ihm, das ich die schwarze Gummizelle in den letzten zwei Jahren an einem anderen Ort gebaut habe. Keine Attrappe, sondern ein massives, originalgetreues Bauwerk im Zustand von 1981. Ich sagte ihm, dass ich jetzt mit diesem Raum zum Thema Empathie einiges machen wolle. Er hat mir zu verstehen gegeben, das er erstmal darüber nachdenken müsse. Nach einer gewissen Zeit bekam ich dann den von mir so erhofften Rückruf. Er sagte mir zu, einmal hierher zu kommen. Um sich das alles erst einmal anzuschauen. Um sich einen Eindruck zu verschaffen.
Vor einer Woche (zum Ende vom Dezember 2023) war er dann hier. Mittlerweile waren ein paar Jahre seit unserem letzten persönlichen Treffen in Hohenschönhausen vergangen. Er war - genauso wie ich selbst - doch sichtbar, sagen wir mal, älter geworden. Er schaute sich alles, was ich hier so mache, aufmerksam an und versuchte, meinem krankhaften Wortschwall zu folgen. Wir setzten uns zusammen und unterhielten uns. Dabei erzählte er mir alles Mögliche. Aus seinem Leben damals und wie es ihm heute ergeht. Ich erfuhr, welche Nummer er in Hohenschönhausen hatte, weswegen er dort inhaftiert war und einiges mehr. Anstatt seines Namens hatte er in Hohenschönhausen von der Stasi eine Nummer verpasst bekommen. Das machte die Stasi bei allen Inhaftierten so. Mit dieser Nummer wurde der Insasse angesprochen und hatte sich auch bei einer Ansprache "ordnungsgemäß" mit dieser zu melden. Er war die Nummer soundso.
Anhand der Nummer konnte ich auch feststellen, in welcher Zelle der „Andere Mensch“ in Hohenschönhausen untergebracht war. Seine Nummer war identisch mit der Zellennummer. Einer Einzelzelle zur Isolationshaft. Ach so, zu dem Titel der Videoarbeit, also: „Beruhigungsverwahrraum“. Die schwarze Gummizelle wurde im offiziellen Sprachgebrauch der Stasi lediglich „Beruhigungsverwahrraum“ oder auch „Tobsuchtszelle“ genannt. Vollkommen absurd: Eine schwarze Gummizelle mit keinerlei Tageslicht und Luftzufuhr, die man von außen abriegeln kann, so zu nennen. In dieser schwarzen Gummizelle wurde niemand beruhigt. Sondern von der Stasi zusätzlich gebrochen.
Dann erzählte der „Andere Mensch“ mir, warum er überhaupt von der Staatssicherheit inhaftiert wurde. Er hatte seine Akte mitgebracht - drei dicke Ordner. Er erläuterte mir, was in Hohenschönhausen vorgefallen war. Wie er in die schwarze Gummizelle geschlossen wurde. Auch von seinen endlosen Verhören bei der Stasi. Ihm standen immer mehr Tränen in den Augen, während er über alles sprach und berichtete. Irgendwann fing er an zu weinen. Ich auch. Eigentlich weinten wir beide. Ich wurde immer vorsichtiger. Weil ich merkte, das da sehr viel mehr ist, was unendlich auf ihm lastet. Ach, eigentlich erzählte er sehr, sehr viel. Vieles, was er mir erzählte, verstand ich. Ich konnte es nachempfinden. Er fragte während des Treffens einiges zu meinem Projekt, dem Warum und Wieso. Auch nach meiner eigenen Vergangenheit.
Na ja. Dann fragte ich ihn, ob wir nicht eine Videoarbeit gemeinsam machen wollten. Etwas zu dem Projekt, was anderes, was auch immer er wollte. Wir einigten uns spontan, dass ich mich an seiner statt hinstellte. Als eine Art Referenz für ihn. Eben als „Anderer Mensch“. Ich hab dann einfach die Arme gehoben, versucht, sie oben zu halten. Bis es weh tat und es nicht mehr ging. Das war eigentlich alles. Im Laufe unseres Gespräches hatte mir der „Andere Mensch“ davon erzählt, womit er sich in der Dunkelheit der Zelle beim Warten auf Irgendwas beschäftigt hatte. Dem eigenen Körper weh tun, damit man ihn spürt. Damit man selbst weiß, dass man noch lebt.
Wir schauten gemeinsam durch mein Material "seiner" Einzelhaftzelle. Dem Material, dass ich bereits in Hohenschönhausen gemacht hatte. Er wollte es noch einmal hier sehen. Seine Zelle. Auch das Material zu den anderen Räumlichkeiten. Wir haben eine experimentelle Videoarbeit seiner Zelle zu dieser hier sichtbaren Videoarbeit hinzugefügt. Irgendwie gehört es dazu. Alles war so, wie es sein sollte. Für die "Musik" zur Videoarbeit haben wir nach der Aufnahme zusammengesessen und allerhand ausprobiert, was man mit dem macht, was aufgenommen wurde. Auch aus dem, was aus dem Video seiner Zelle als Originalton zu hören war. Das, was dann entstanden ist, das ist in der Videoarbeit zu sehen. Und zu hören.
Zu seiner eigenen Person, seinen Namen, über all das, worüber wir uns unterhalten haben - über all das möchte er öffentlich nichts wiederfinden. Nur das, was hier geschrieben steht. Das ist so in Ordnung.
Ich hoffe, diese Videoarbeit bringt das an den Gefühlen für dich rüber, was Du gemeint hast,,,